18.1 Der Rachefeldzug gegen die Banu Lihyan in Ghuran1 (September 627 n.Chr.)

Muhammad blieb bis zum Monat Djumada al-Ula (5. Monat) in Medina. Als der sechste Monat nach seinem Sieg über die Banu Quraiza begann, zog er gegen die Banu Lihyan. Er wollte für die Kämpfer von Radji, Khubaib ibn Adi und seine Gefährten, Rache nehmen. Um den Feind zu überraschen, gab er vor, nach Syrien zu reisen. Er setzte nach Ibn Hischam Ibn Umm Maktum über Medina und schlug den Weg über den Ghurab ein (der Ghurab ist ein Berg, der in der Nähe von Medina auf der Straße nach Syrien liegt). Dann zog er weiter über Mahis und Batra, wandte sich dort nach links und kam über Bin und Sukhairat al-Jamam auf dem direkten Weg nach Mahadjdja, das auf der Straße nach Mekka liegt. Von dort zog er in Eilmärschen nach Ghuran, den Lagerplätzen der Banu Lihyan. Ghuran ist ein Tal zwischen Amadj und Usfan. Dort, in dem Ort Sa'ya, ließ er sich nieder. Der Feind aber war auf der Hut. Er hatte sich bereits in den Bergen verschanzt. Als Muhammad seinen Plan gescheitert sah, sagte er: “Wenn wir nach Usfan hinabsteigen, werden die Mekkaner glauben, wir zögen nach Mekka.” Er machte sich daher mit zweihundert Reitern auf den Weg und stieg nach Usfan hinab. Von hier sandte er zwei seiner Reiter nach Kura al-Ghamim. Als sie zurückgekehrt waren, trat auch Muhammad den Rückweg an. Djabir ibn Abd Allah berichtet: “Ich habe gehört, wie Muhammad bei seiner Heimkehr sagte: ,Wir kehren um (bereuen diesen Fehler), so Allah will,’ und er pries Allah und flehte seinen Beistand an gegen die Beschwerden der Reise, gegen die Unannehmlichkeiten des Wechsels und das böse Auge2, das auf unsere Gemeinschaft und unser Gut geworfen wird.”

18.2 Der Feldzug von Dhu Qarad3 (August 627 n.Chr.)

Muhammad kehrte wieder nach Medina zurück, blieb aber nur wenige Nächte dort, weil Uyayna ibn Hisn, der Fasarite, mit Reitern von Ghatafan die Kamele Muhammads im Buschland (ca. 15 km nördlich von Medina) überfiel, einen Mann von den Banu Ghifar tötete und dessen Frau samt den Kamelen fortschleppte. Der Aslamite Salama ibn Amr war der erste, der Kunde von dem Überfall erhielt. Er eilte sogleich in Begleitung eines Dieners von Talha ibn 'Ubaid Allah, der eine Stute mit sich führte, in das Buschland und nahm Bogen und Pfeile mit. Als er den Hügel von Wada erklomm, entdeckte er etliche feindliche Reiter. Er bestieg daraufhin eine Seite von Sal und rief: “Herbei, am Morgen!” Dann lief er ihnen wie ein reißendes Tier nach, holte sie ein, trieb sie mit seinen Pfeilen zurück und rief jedesmal, wenn er einen Pfeil abschoß: “Nimm ihn hin! Ich bin Ibn al-Aqwa! (der Kräftigste, eine Selbstbezeichnung von ihm). Heute ist der Tag für die Niederträchtigen.” Sobald die Reiter auf ihn zukamen, floh er. Bald trat er ihnen erneut in den Weg, schoß auf sie, sooft er konnte, und rief dabei: “Nehmt sie hin! Ich bin Ibn al-Aqwa! Heute ist der Tag für die Niederträchtigen.” Einer der Feinde entgegnete: “Du wirst heute noch unser Sklave werden, der Tag fängt erst an!” Muhammad hatte den Ruf Ibn al-Aqwas vernommen und in Medina Alarm ausrufen lassen. Schnell sammelten sich die Reiter bei Muhammad. Er setzte Sa'd ibn Zaid über sie und sagte zu ihm: “Ziehe aus, um den Feind ausfindig zu machen. Ich werde mit der Reitertruppe folgen.”

Muhammad bemerkte Abu Aijasch gegenüber: “O Abu Aijasch! Du solltest dein Pferd einem besseren Reiter geben. Er würde den Feind einholen.” Jener erwiderte jedoch: “O Gesandter Allahs, ich bin der beste Reiter!” Er trieb sein Pferd an, hatte aber kaum eine Strecke von fünfzig Ellen zurückgelegt, als es ihn abwarf. Er wunderte sich nun über Muhammads Worte.

Die Reitertruppe setzte dem Feind nach, bis sie ihn eingeholt hatte. Asim berichtete, Muhriz, den man auch “al-Akhzam” oder “Qumair” nannte, habe den Feind zuerst eingeholt. Dies geschah folgendermaßen: Im Garten des Muhammad ibn Maslama tänzelte unruhig eine Stute herum, sobald sie das Gewieher der anderen Pferde hörte. Sie war ein vortreffliches und ausgeruhtes Tier. – Als einige Frauen der Banu Abd al-Aschhal sahen, wie die an einer Dattelpalme befestigte Stute herumtänzelte, fragten sie Qumair, ob er die Stute nicht besteigen möchte, um sich Muhammad und den andern Gläubigen anzuschließen. Er bejahte. Da gaben sie ihm das Pferd. Es hatte bald die anderen Reiter weit hinter sich gelassen und den Feind eingeholt. Qumair blieb stehen und rief: “Haltet, ihr Söhne einer Niederträchtigen, bis die Auswanderer und Hilfsgenossen euch einholen!” Einer der feindlichen Reiter drang auf ihn ein und tötete ihn. Das Pferd jedoch lief davon. Man konnte es nicht fangen, bis es bei einem Stall der Banu Abd al-Aschhal stehenblieb. Außer Muhriz wurde kein Moslem getötet. Ukkascha holte Awbar und dessen Sohn ein, die zusammen auf einem Kamel saßen. Er durchbohrte beide mit seiner Lanze, so daß sie miteinander umkamen. Auch konnten wieder einige Kamele erbeutet werden. Muhammad zog bis zu einem der Berge von Dhu Qarad, wo sich die Reiter um ihn sammelten. Dort stieg er auch ab und brachte einen Tag und eine Nacht zu. Er ließ ein Kamel für je hundert Mann schlachten, damit seine Truppen sich stärken konnten. Dann kehrte er nach Medina zurück.

18.3 Der Feldzug gegen die Banu al-Mustaliq<fn>Die Banu al-Mustaliq wohnten in einem Gebiet etwa 200 km südlich von Medina, etwa 160 km nördlich von Mekka. Dort fand auch der Kampf statt.</fn> (Januar 627/8 n.Chr.)

Muhammad blieb einen Teil des Djumada al-Akhira (6. Monat) (6. Monat) und Radjab (7. Monat) in Medina. Im Sch'aban (8. Monat) des (sechsten) Jahres4 nach der Auswanderung zog er gegen die Banu al-Mustaliq, einen Zweig der Khuza'a. Er setzte zuvor Abu Dharr al-Ghifari über Medina.

Muhammad vernahm, daß die Banu Mustaliq unter der Führung von Harith ibn Abi Dhirar, des Vaters seiner Gattin Djuwairiyya, Truppen gegen ihn zusammenzogen. Muhammad zog ihnen daher bis zur Quelle Muraisi in der Gegend von Qudaid entgegen. Hier fand der Kampf statt. Allah trieb die Banu al-Mustaliq in die Flucht, ließ manche von ihnen erschlagen und ermöglichte Muhammad, ihre Kinder, Frauen und Güter zu erbeuten. Von den Moslems wurde Hischam ibn Subaba von den Banu Kalb ibn Auf getötet. Ein Hilfsgenosse vom Geschlecht des Ubada ibn al-Samit hielt ihn für einen Feind und tötete ihn versehentlich.

Während Muhammad bei der Quelle Muraisi lagerte, trieb auch ein Tagelöhner Umar ibn al-Khattabs, Djahdjah ibn Mas'ud genannt, sein Pferd zur Tränke. Er stieß im Gedränge an Sinan ibn Wabr al-Djuhani, einen Schutzgenossen der Banu Auf ibn al-Khazradj. Darauf kam es zu Tätlichkeiten zwischen ihnen. Da rief der Djuhanite: “Herbei ihr Hilfsgenossen!” Djahdjah aber schrie: “Herbei ihr Auswanderer!” Abd Allah ibn Ubayy geriet in Zorn und sagte zu den Seinigen, die um ihn herumstanden – unter ihnen auch ein junger Mann namens Zaid ibn Arqam: “Haben sie dies getan? Sie wetteifern mit uns an Zahl und Ruhm in unserem Lande. Bei Allah, ich betrachte uns und diese niedrigen Quraisch genauso, wie ein Alter sagte: ,Mäste deinen Hund, so wird er dich auffressen. Aber, bei Allah, "wenn wir nach Medina zurückkehren, soll der Starke den Niedrigen austreiben" (Sure al-Munafiqun 63,8)’”. Er wandte sich dann an diejenigen von seinem Geschlecht, die bei ihm standen, und fuhr fort: “Das habt ihr euch selbst angetan. Ihr habt sie in euer Land kommen lassen und habt euer Gut mit ihnen geteilt. Bei Allah, hättet ihr ihnen versagt, was ihr besitzt, so wären sie in ein anderes Land gezogen.”5

Zaid ibn Arqam hörte sich alles mit an und berichtete es Muhammad, nachdem die Feinde geschlagen waren. Umar ibn al-Khattab, der zugegen war, sagte: “Befiel Abbad ibn Bischr, ihn umzubringen!” Muhammad erwiderte: “Wie soll ich dies tun, Umar? Sollen die Leute sagen, Muhammad tötet seine Gefährten?” Er erteilte dann den Befehl zum Aufbruch. Es war zu einer Zeit, in welcher Muhammad sonst nicht aufzubrechen pflegte.

Abd Allah ging, als er hörte, Zaid habe seine Worte dem Propheten hinterbracht, zu diesem und schwor bei Allah, er habe dies nicht gesagt. Da Abd Allah unter seinem Volk hochgeehrt und angesehen war, sagte einer seiner Gefährten zu Muhammad: “Vielleicht hat sich der Junge geirrt und nicht recht zugehört.” Er sagte dies aus Liebe zu Abd Allah und zu dessen Entschuldigung.

Als Muhammad aufgebrochen war und weiterzog, kam ihm Usayd ibn Hudhair entgegen und grüßte ihn, wie man den Propheten zu grüßen pflegte. Dann sagte er: “O Prophet Allahs! Bei Allah, du bist zu einer unheilvollen Stunde aufgebrochen!” Muhammad antwortete: “Hast du nicht vernommen, was euer Freund gesagt hat?” – “Welcher Freund, Gesandter Allahs?” – “Abd Allah ibn Ubai.” – “Was hat er gesagt?” – “Er behauptet, wenn er nach Medina zurückkehre, solle der Starke den Niedrigen austreiben.” – “Bei Allah, wenn du willst, Gesandter Allahs, so kannst du ihn austreiben, denn er ist der Niedrige und du der Starke. Aber habe Mitleid mit ihm, denn als Allah dich zu uns führte, ordneten seine Leute bereits die Perlen, um ihn zu krönen, und er glaubt, du habest ihm sein Reich geraubt.”

Muhammad zog dann den ganzen Tag und die Nacht hindurch und den folgenden Morgen weiter, bis die Sonne lästig wurde. Dann stieg er ab. Kaum hatten sie die Erde berührt, als sie der Schlaf überwältigte. Er hatte diesen Gewaltmarsch unternommen, damit sie sich nicht weiter mit der Sache Abd Allahs beschäftigten. Nach der Rast brach Muhammad erneut mit den Leuten auf und durchzog das Hidjaz bis zu einem Gewässer oberhalb von Naqi, das Baq'a hieß. Als er weiterzog, kam ein heftiger Sturm auf, der sehr lästig war und den Leuten Furcht einflößte.

Muhammad bemerkte: “Fürchtet nichts, der Sturm6 bedeutet den Tod eines der angesehensten Ungläubigen.” Als sie nach Medina kamen, hörten sie, daß Rifa'a ibn Zaid ibn Tabut von den Banu Qaynuqa', einer der angesehensten Juden, eine Stütze der Heuchler, am selben Tage verschieden sei.

Aus diesem Anlaß erschien die Sure, in welcher Allah die Heuchler erwähnt und sich auf Ibn Ubayy und seine Anhänger bezieht (Gemeint ist die 63. Sure des Qur’an, welche denselben Namen trägt: al-Munafiqun.) .Als sie geoffenbart wurde, faßte Muhammad das Ohr von Zaid ibn Arqam und sagte: “Er ist mit seinen Ohren Allah treu gewesen.” Als Abd Allah, der Sohn von Abd Allah ibn Ubai, hörte, was sich mit seinem Vater zugetragen hatte, ging er – nach dem Bericht Asims – zu Muhammad und sagte: “O Gesandter Allahs! Ich habe vernommen, du wollest meinen Vater töten lassen wegen dem, was du von ihm gehört hast. Verhält es sich wirklich so, dann erteile mir den Befehl, und ich bringe dir sein Haupt. Bei Allah, die Khazradjiten wissen, daß keiner unter ihnen reinere Gefühle gegen seinen Vater hegt als ich. Ich fürchte, du könntest einem andern den Tötungsbefehl erteilen. Ich könnte den Mörder meines Vaters nicht unter den Leuten sehen. Ich würde ihn auch töten und damit einen Gläubigen für einen Ungläubigen erschlagen und in die Hölle kommen.”

Muhammad erwiderte: “Nicht so, wir wollen gnädig gegen ihn sein und ihn als Gefährten gut behandeln, solange er unter uns weilt.”

Nach diesem Vorfall wurde Abd Allah, sooft er ein Unrecht beging, von seinen eigenen Stammesgenossen getadelt und zurechtgewiesen. Als Muhammad dies sah, sagte er zu Umar: “Was meinst du, Umar? Wenn ich ihn an dem Tage, als du es wolltest, erschlagen hätte, so wären deswegen viele Leute in Aufruhr geraten, die ihn heute sofort töten würden, wenn ich es haben wollte.”7 Umar erwiderte: “Ich weiß, bei Allah, daß die Befehle des Gesandten Allahs mehr Segen bringen als die meinigen.”

Am selben Tage kam Miqyas ibn Subaba aus Mekka zu Muhammad und sagte, er habe sich zum Islam bekehrt und verlangte das Sühnegeld für seinen irrigerweise getöteten Bruder Hischam. Muhammad ließ ihm das Sühnegeld auszahlen. Er blieb aber nur kurze Zeit bei Muhammad, überfiel dann den Mann, der seinen Bruder getötet hatte, erschlug ihn und kehrte als Abtrünniger nach Mekka zurück.

18.4 Djuwairiyya von den Banu al-Mustaliq wird eine der Frauen Muhammads (Januar 627/8 n.Chr.)

Muhammad hatte viele Gefangene gemacht, die er unter den Gläubigen verteilen wollte. Unter ihnen befand sich auch Djuwairiyya, seine spätere Gattin. Als Muhammad die Gefangenen der Banu al-Mustaliq verteilte, fiel Djuwairiyya dem Thabit ibn Qays zu. Sie aber schloß einen Befreiungsvertrag mit ihm.

Djuwairiyya war eine angenehme, hübsche Frau, die jeden für sich einnahm, der sie sah. Sie kam zu Muhammad und bat ihn um Hilfe bei ihrem Loskauf. Aischa hatte sie kaum an der Schwelle ihres Gemachs bemerkt, als sie sie auch schon haßte.8 Aischa wußte, daß diese Frau Muhammad so eindrücklich wie sie selbst erscheinen würde. Als Djuwairiyya bei ihm eintrat, sagte sie: “O Gesandter Allahs! Ich bin Djuwairiyya, Tochter Hariths, Sohn Abu Dirars, des Herrn seines Volkes. Mein Unglück ist dir bekannt. Das Los hat mich dem Thabit ibn Qays zugewiesen. Ich habe einen Befreiungsvertrag mit ihm geschlossen und komme, dich um deine Hilfe bei meinem Loskauf zu bitten.” – “Willst du etwas Besseres?” – “Was denn?” – “Ich will deinen Loskauf besorgen und dich heiraten.” – “Recht gern, Gesandter Allahs!” – “Nun, es sei so!”

Als bekannt wurde, daß Muhammad Djuwairiyya heiraten werde, wurden die Gefangenen als seine Schwäger betrachtet und von den Gläubigen freigelassen. Mehr als hundert Familienhäuptern, so erzählt Aischa, wurde bei der Hochzeit die Freiheit geschenkt. Nie hat eine Frau den Ihrigen größeren Segen gebracht als Djuwairiyya.

Als Muhammad vom Feldzug gegen die Banu al-Mustaliq heimkehrte, übergab er Djuwairiyya in Dhat dem Hilfsgenossen al-Djaisch und befahl ihm, acht auf sie zu geben, während er selbst nach Medina vorausging. Inzwischen kam Djuwairiyyas Vater al-Harith mit dem Lösegeld für seine Tochter. Als er in 'Aqiq war, warf er einen Blick auf die Kamele, die er mitgebracht hatte. Da ihm zwei besonders gefielen, verbarg er sie in einer der Schluchten bei Aqiq. Dann ging er zu Muhammad und sagte zu ihm: “Ihr habt meine Tochter gefangengenommen. Hier ist das Lösegeld!” Da fragte Muhammad: “Und was ist mit den beiden Kamelen, die du in der Schlucht von Aqiq verborgen hast?” Al-Harith rief hierauf: “Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß du, Muhammad, sein Gesandter bist. Bei Allah, niemand konnte dies wissen außer Allah.” Mit al-Harith bekehrten sich auch zwei seiner Söhne und mehrere von seinem Stamm. Er ließ hierauf die beiden Kamele holen und gab sie Muhammad. Man brachte ihm dann seine Tochter, die eine rechte Gläubige wurde. Muhammad hielt bei ihrem Vater um sie an, und als er sie ihm gewährte, schenkte er ihr eine Morgengabe von vierhundert Dirham.

18.5 Wie Aischa verleumdet wurde (Januar 627/8 n.Chr.)

Aischa erzählt selbst: “Sooft Muhammad eine Reise unternahm, loste er unter seinen Frauen und nahm die mit, welche das Los traf.9 Bei dem Feldzug gegen die Banu al-Mustaliq wurde ebenfalls gelost. Das Los traf mich, und Muhammad reiste mit mir ab. Zu jener Zeit nährten sich die Frauen nur mit dem Nötigsten. Sie wurden nicht stark und schwer vom Genuß des Fleisches. Wenn mein Kamel zur Reise bereit war, setzte ich mich in die Sänfte. Dann kamen die Kameltreiber, faßten die Sänfte, hoben sie auf den Rücken des Kamels und banden sie fest. Dann nahmen sie das Kamel am Zügel und führten es fort. Als Muhammad von diesem Feldzug heimkehrte, ritt er bis zu einer Station in der Nähe von Medina. Dort stieg er ab und verbrachte hier die Nacht. Tags darauf gab er wieder den Befehl zum Aufbruch, und die Leute zogen weiter. Ich aber entfernte mich wegen eines Bedürfnisses und hatte eine Halskette aus Steinen von Zafar an.10 Als ich fertig war, fiel sie mir von meinem Hals, ohne daß ich es spürte. Als ich zu den Kamelen zurückkehrte und nach meiner Kette griff, war sie nicht mehr da. Nun ging ich zu der Stelle zurück und suchte sie, bis ich sie fand. Meine Kameltreiber hatten aber mein nochmaliges Weggehen nicht bemerkt, denn mein Kamel war schon bereit. Und da sie fest geglaubt hatten, ich sei, wie gewöhnlich, in die Sänfte gestiegen, hatten sie sie auf das Kamel gehoben, festgegurtet und das Kamel fortgetrieben. Als ich daher zum Lager zurückkehrte, war kein Mensch mehr da. Alle waren schon aufgebrochen. Da hüllte ich mich in mein Oberkleid und legte mich an dem Ort, wo ich war, nieder, denn ich wußte, daß man zu mir zurückkehren würde, sobald man mich vermissen werde. Während ich so dalag, kam Safwan ibn al-Muattal, der Sulamite, vorüber, der wegen eines Geschäftes hinter dem Heer zurückgeblieben war und die Nacht nicht bei ihm zugebracht hatte. Als er mich bemerkte, ging er auf mich zu, bis er vor mir stand, denn er hatte mich früher schon gesehen, ehe wir uns verschleiern mußten. Er rief: ,Wir gehören Allah und kehren einst zu ihm zurück11, es ist die Gattin des Gesandten Allahs!' Ich hüllte mich in mein Gewand, und als er fragte: ,Warum bist du zurückgeblieben? Allah sei dir gnädig,’ gab ich keine Antwort. Er aber führte mir sein Kamel vor und sagte: ‘Besteige es!' Dann trat er zurück. Als ich es bestiegen hatte, führte er es schnell fort, um die Leute einzuholen, aber, bei Allah, wir konnten sie nicht erreichen. Auch wurde ich bis zum anderen Morgen, als die Leute abstiegen, nicht vermißt.

Als alle sich schon zur Ruhe niedergelegt hatten, kam Safwan und trieb mein Kamel heran. Da erfanden die Lügner die bekannten Verleumdungen, und die Truppen gerieten in Schrecken. Aber, bei Allah, ich wußte von allem nichts. Kaum in Medina angelangt, wurde ich unpäßlich, so daß ich von all den Reden nichts erfuhr. Sie drangen zwar auch zu Muhammad und meinen Eltern, aber sie erwähnten mir gegenüber nicht das Geringste. Ich vermißte jedoch bei Muhammad die Zärtlichkeit und Teilnahme, die er mir sonst bewies, wenn ich unwohl war. Das befremdete mich, denn als er zu mir kam, während meine Mutter mich pflegte, fragte er nur: ,Wie geht es ihr?’ ohne ein Wort hinzuzusetzen. Dies betrübte mich, und als ich seine Härte spürte, sagte ich: ,Wenn du es erlaubst, Gesandter Allahs, so gehe ich zu meiner Mutter, die mich pflegt.' Er antwortete: ,Nichts hindert dich daran.'

Da begab ich mich zu meiner Mutter und wußte noch immer nichts von den Verleumdungen, bis ich nach etwa zwanzig Tagen von meiner Krankheit genas. Wir lebten damals noch wie Beduinen und hatten noch nicht, wie die Perser, eine Toilette im Haus, denn das ekelte uns. Wir gingen stets ins Freie, um unser Bedürfnis zu verrichten. Die Frauen taten es des Nachts. Eines Nachts ging ich auch hinaus, um mein Bedürfnis zu verrichten. Bei mir war Umm Mistah, die Tochter des Abu Ruhm ibn al-Muttalib. Im Gehen stolperte sie über ihr langes Gewand und rief: ,Möge Mistah zugrunde gehen!' Mistah war der Beiname Aufs. Da entgegnete ich: ‘Bei Allah, du hast hier etwas Häßliches über einen Mann gesagt, der bei Badr gekämpft hat.' Sie erwiderte: ,Tochter Abu Bakrs, weißt du nicht, was vorgefallen ist?' Da erzählte sie mir, was die Lügner ausgesagt hatten. Ich fragte: ,Ist dies wahr?' Sie antwortete: ,Ja, bei Allah.' Ich kehrte schnell zurück, konnte nicht einmal mein Bedürfnis verrichten und hörte nicht auf zu weinen, bis ich glaubte, mein Herz würde zerspringen.

Zu meiner Mutter sagte ich: ,Allah vergebe dir! Die Leute führen solche Reden, und du sagst mir nichts davon!' Sie entgegnete: ,Meine Tochter, nimm diese Sache nicht so schwer! Bei Allah, es gibt wenig schöne Frauen, die von ihrem Mann geliebt werden und deren Nebenbuhlerinnen nicht vieles über sie sagen.'

Inzwischen hielt Muhammad, ohne daß ich etwas davon wußte, eine Rede, in der er, nachdem er Allah gepriesen, sagte: ,O ihr Leute, warum kränken mich etliche Männer wegen meiner Familie und sagen Unwahres über Aischa? Bei Allah, ich weiß nur Gutes von ihr.' Auch sagen sie ähnliches über meinen Mann, von dem ich, bei Allah, nur Gutes weiß und der nie, ohne meine Begleitung, eine meiner Wohnungen betreten hat. Am schlimmsten war das Gerede bei Abd Allah ibn Ubayy und einigen Khazradjiten. Dazu kamen noch die Reden Mistahs und Hamnas, der Tochter Djahschs, deren Schwester Zainab auch eine Gattin Muhammads war. Diese versuchte, mir meinen Vorrang bei ihm streitig zu machen. Zainab aber wurde von Allah in ihrem Glauben bewahrt, so daß sie mir nur Gutes nachredete. Hamna aber, die mich wegen ihrer Schwester haßte, verbreitete Schlimmes über mich und machte sich dadurch elend.

Als Muhammad so gesprochen hatte, sagte Usayd ibn Hudhair: ,O Gesandter Allahs! Gehören die Leute zu den Ausiten, so wollen wir dir Ruhe vor ihnen verschaffen. Gehören sie zu den Khazradjiten, unseren Brüdern, so erteile uns deinen Befehl, denn bei Allah, sie verdienen, enthauptet zu werden.' Da erhob sich Sa'd ibn Ubada, der bisher als ein frommer Mann galt, und sagte: ‘Bei Allah, du hast dies nur gesagt, weil du weißt, daß sie zu den Khazradjiten gehören. Gehörten sie zu den Ausiten, so würdest du nicht so gesprochen haben. Aber, bei Allah, sie sollen nicht enthauptet werden!' Usayd versetzte: ‘Du lügst, bei Allah, du bist ein Heuchler und nimmst dich der Heuchler an!' Die Leute gerieten in Aufregung, und es hätte wenig gefehlt, so wäre es zwischen den Ausiten und Khazradjiten zu Tätlichkeiten gekommen.

Muhammad verließ hierauf die Kanzel und begab sich in unsere Wohnung und rief Ali und Usama ibn Zaid und fragte sie um ihre Ansicht. Usama sagte: ,Wir wissen nur Gutes von deiner Gattin. Das sind alles nur Lügen und leeres Gerede!'

Ali hingegen bemerkte: ,O Gesandter Allahs! Es gibt viele Frauen, du kannst dir eine von ihnen herbeibringen lassen. Frage ihre Sklavin, sie wird dir die Wahrheit sagen.'12

Muhammad rief Barira herbei, um sie auszufragen. Ali versetzte ihr einige derbe Schläge und ermahnte sie, Muhammad die Wahrheit zu sagen. Sie sagte: ‘Bei Allah, ich weiß nur Gutes von ihr, ich habe ihr nichts anderes vorzuwerfen, als daß ich einst meinen Teig knetete und sie bat, darauf acht zu haben; sie aber schlief ein, und ein Schaf kam und fraß ihn.'

Muhammad setzte sich dann zu mir (bei mir waren meine Eltern und eine Frau der Hilfsgenossen, die mit mir weinte) und sagte, nachdem er Allah gepriesen hatte: ‘Du wirst gehört haben, Aischa, was die Leute sagen. Fürchte Allah! Hast du, wie die Leute sagen, ein Unrecht begangen, so bekehre dich zu Allah, denn Allah nimmt die Buße seiner Diener an.' Kaum hatte er so gesprochen, so ließen meine Tränen nach, bis ich keine mehr verspürte. Ich erwartete, daß meine Eltern an meiner Stelle antworten würden, aber sie schwiegen, und ich hielt mich, bei Allah, für zu gering und unbedeutend, als daß ich die Hoffnung hegte, Allah werde um meinetwillen etwas offenbaren, das dann als Qur’an in den Moscheen gelesen und bei Gebeten gebraucht wird. Das einzige, was ich hoffte, war, daß Muhammad ein Gesicht haben werde, in welchem ihm Allah meine Unschuld zeigte oder ihn von meiner wahren Geschichte unterrichtete.

Als nun meine Eltern nichts sagten, fragte ich sie, warum sie nicht statt meiner antworteten. Sie sagten: ‘Bei Allah, wir wissen nicht, was wir sagen sollen.'

Bei Allah, ich kenne keine Familie, die Schwereres getroffen hätte, als die Abu Bakrs in jenen Tagen. Als meine Eltern schwiegen, brachen aus mir aufs neue Tränen hervor. Dann sagte ich: ,Ich werde wegen des von dir Erwähnten nie Buße tun, denn sonst bestätigte ich, was die Leute von mir sagen, während Allah meine Unschuld kennt. Wenn ich Worte der Buße aussprechen würde, hätte ich etwas Unwahres gesagt. Leugne ich aber, was ihr behauptet, so glaubt ihr mir nicht.' Ich suchte dann in meinem Gedächtnis den Namen Jakob, fand ihn aber nicht. Ich sagte daher: ,Ich muß wie Josephs Vater sagen: "Doch schön geduldig sein. Und Allah sei um Hilfe gebeten gegen das, was ihr aussagt" (Sure Yusuf 12,18)'.

Muhammad war noch nicht aufgestanden, als er in Ohnmacht13 fiel. Er wurde in sein Gewand gehüllt, und man legte ein Lederkissen unter sein Haupt. Als ich dies sah, war ich weder verzagt noch besorgt, denn ich wußte, daß ich unschuldig war und Allah mir kein Unrecht tun werde. Meine Eltern aber fürchteten, bis Muhammad wieder zu sich kam, daß Allah die Reden der Leute bestätigen möchte. Ich glaubte, die Angst würde sie töten.

Endlich kam Muhammad wieder zu sich. Er setzte sich aufrecht, und der Schweiß rann wie Perlen an ihm herab, obgleich es mitten im Winter war.14 Er wischte sich den Schweiß von der Stirn ab und sagte: ‘Empfange frohe Botschaft, Aischa! Allah hat deine Unschuld geoffenbart!' Ich sagte: ,Allah sei gepriesen!' Er trat dann zu den Leuten hinaus, hielt eine Predigt und rezitierte, was Allah über diese Sache im Qur’an geoffenbart hatte. Dann ließ er Hassan ibn Thabit, Mistah ibn Uthatha und Hamna geißeln. Sie hatten die schlimmsten Verleumdungen verbreitet.”15


Footnotes

1 "Ghuran" liegt ca. 80 km nordwestlich von Mekka.

2 Der Aberglaube, daß der Blick eines Neiders die Geschicke des Betroffenen negativ beeinflussen könne, ist bis heute im Nahen Osten weit verbreitet. Muhammad selbst hat an die Wirkung des bösen Blicks geglaubt.

3 "Dhu Qarad" liegt ca. 20 km nördlich von Medina.

4 Bei der Datierung dieses Feldzugs gibt es Meinungsverschiedenheiten unter den Muslimen. Einige gehen davon aus, daß er ein Jahr zuvor, im 5. Jahr nach der Hidjra stattgefunden hat.

5 Eine kritische Stunde für alle Moslems war gekommen, als die mekkanischen Asylanten und Alteingesessenen von Medina aneinandergerieten. Alter Haß und Vorurteile brachen auf. Der Streit rührte an die Existenz des Islam.

6 esus hatte die Macht, den Sturm zu stillen, um seine Nachfolger zu retten (Matthäus 8,23-27). Muhammad hatte keine Macht über die Naturgewalten und deutete den Sturm abergläubisch als Zeichen des Todes eines seiner jüdischen Feinde.

7 Für viele Moslems war es eine Ehre, den Wunsch Muhammads zur Tötung einzelner Widersacher auszuführen. Muhammad veranlaßte immer neue Meuchelmorde.

8 Im Harem Muhammads mit seinen zeitweise bis zu neun Frauen ging es oft nicht friedlich zu. Aischa und Hafsa hielten zusammen, um gegen Umm Salama und Djuwairiyya zu intrigieren und zu kämpfen. Es ist verständlich, wenn Muhammad offenbarte, daß die Mehrzahl der Höllenbewohner undankbare Frauen seien.

9 Muhammad hat auch bei Reisen und Feldzügen keine Enthaltsamkeit geübt und seine Frauen selbst in Gefahrenzonen mitgenommen. Er war das Vorbild für die Moral der islamischen Kämpfer im Heiligen Krieg.

10 Die verlorene Halskette der Aischa sollte eine tiefgreifende, geschichtsträchtige Folge haben.

11 Diese qur'anische Formel (Sure al-Baqara 2,156) wird heute noch von den Moslems bei einem Unglück oder einem Todesfall ausgesprochen.

 

12 Die negative Aussage Alis und seiner Frau Fatima, der Tochter Muhammads, die aus dem vornehmen Haus der Khadija stammte, schürte einen glühenden Haß und schuf einen tiefen Riß zwischen der Familie Abu Bakrs und Umars auf der einen und der Alis und Fatimas auf der anderen Seite. Dieser Haß wirkte weiter und verhinderte, daß Ali der Nachfolger Muhammads wurde; und er stachelte später andere zur Ausrottung Alis und seiner beiden Söhne Hassan und Hussain auf. Die verlorene Halskette Aischas hat den Islam in Schiiten und Sunniten gespalten.

13 Anläßlich der Unschuldserklärung Aischas wurde einer der Anfälle Muhammads etwas deutlicher als sonst beschrieben. Die Moslems bezeichnen diese Anfälle als Begleiterscheinung und Hinweis auf den Offenbarungsvorgang. Viele Orientalisten sehen darin ein Zeichen für epileptische Anfälle.

14 In einer von Aischa überlieferten Hadith heißt es, daß Muhammad beim Empfang seiner Offenbarungen heftig schwitzte (Bukhari, Ba-d'u'l-wahy 2; Tirmidhi, Manaqib 6; Nasai, Iftitah 37).

15 Die nicht nachweisbare Verleumdung unschuldiger Ehefrauen wird seit dem Vorfall mit Aischa im Islam schwer bestraft.